Ein goldener, tiefstehender Vollmond begrüsste die ungewohnt früh aufstehenden Mitglieder des Gemischten Chores am Freitag, 12. August 2022, und begleitete die teils noch schläfrigen Menschen nach Grünen auf das Areal der Sommer AG, wo ein bequemer Car für die Chorreise bereit stand. Die Vorfreude auf die bevorstehenden zwei Tage musste bei allen Beteiligten gross gewesen sein, denn alle waren zeitig da, sodass Ursula, unsere famose Chauffeuse in den nächsten zwei Tagen, pünktlich um 06:05 Uhr mit uns losfahren konnte. Eine erste Verschnaufpause gab es um 06:06 Uhr am Bahnhof Grünen und etwas später in Huttwil… Mit Ivo und Trudi (Gertrud!) an Bord waren wir vollständig, und jetzt gings wirklich los! Ein wolkenloser Himmel und ein verlockend angekündigtes Reiseprogramm von Theres versprachen zwei tolle Tage in der Ostschweiz. Und es wurde toll: abwechslungsreich, interessant, entspannend, locker, mit gut gelaunten Menschen bei Traumwetter unterwegs in einer Bilderbuchlandschaft!

Über Altishofen, – wo uns Ursula mit viel Herzblut spannende Information zur Galliker Transport AG vermittelte, ihrer früheren und künftigen Arbeitgeberin -, fuhren wir über die A2/A1 Richtung Zürich. Die Reise ging erstaunlich flott vorwärts, und es war nicht ganz klar, wieso wir in keinen zu erwartenden Stau gerieten. Vielleicht hat uns die Ferienzeit geholfen, aber möglicherweise bekamen wir einfach Vorfahrt, weil wir, alle gegen die uns unterdessen frontal anstrahlende Sonne mit dunkeln Brillen ausgestattet, nach aussen eine ziemlich grimmige Entschlossenheit verbreiteten. Mafia im Emmental?

Der Kaffe- und Gipfelihalt in Zürich-Seebach, genauer im Restaurant «Waldhaus» am idyllischen Katzensee (einheimisch Büsisee) bescherte dem Schreibenden ein paar schöne Erinnerungen an die frühen siebziger Jahre, Hene und Urs aber die erstaunliche Entdeckung, dass «Waldhaus» einen eigenen Bahnhof besitzt, und dies erst noch für eine Dampfbahn, Massstab 1:6, seit 1961 in Betrieb.

Weil der Car etwas weiter fuhr als die besagte Gartenbahn fuhren wir also per Dieselmotor weiter Richtung Ostschweiz und erreichten am späten Vormittag unser Hauptetappenziel des ersten Tages, Appenzell, Hauptort von Innerrhoden. In zwei Gruppen führten uns zwei einheimische Führerinnen durch dieses malerische Dorf (!), mit typischem Appenzellerschalk und spannendem Insiderwissen.  Zwar haben wir das Geheimnis der Kräutersulze für den Appenzellerkäse nicht erfahren, – wir haben dafür über die Entstehung der Löcher im Emmentaler auch nichts verraten -, aber wir haben gelernt, dass die Appenzellerinnen und Appenzeller uns einiges beibringen können: Wie man sich friedlich trennt (1597) und dabei Optionen für weiteres Zusammenleben auf Jahrhunderte hinaus ermöglicht, und dass «kulturelle Aneignung» ein «birrewäches» Schimpfwort ist und schleunigst besser durch «kulturelle Berächerung» ersetzt würde. Schliesslich entpuppte sich der Volksheld von der Schlacht am Stoos (1405), Ueli Rotach, später als Ausserrhoder, ist das Rathaus in Appenzell rot, weil man dies dem Basler Rathaus abgeschaut hat, ist Ruth Metzler eigentlich Luzernerin, wird der echte Appenzellerkäse ohne einen Tropfen Innerrhodener Milch hergestellt und stammt die typische Appenzeller Tabakpfeife (mit dem Deckel) ursprünglich aus dem Schwabenland (Lindau).

Der Nachmittag diente der freien Verlustierung… Ausgangspunkt war das Jakobsbad: Die grösste Gruppe, – die «sportliche» -, begab sich auf einen Teil des Barfusspfades, der eigentlich vom Jakobsbad zum Gontenbad führt. Die Ordensgemeinschaft der «Barfüsser» folgte ursprünglich der Aufforderung Jesu, auf eine Reise weder Vorräte noch Geld, Hemden, Schuhe oder Wanderstäbe mitzunehmen. Von einem Einkehrverbot hat er nichts gesagt, und so endete diese sportliche Einlage nach knapp 3 Kilometern in einer schattigen Gartenbeiz des Restaurant «Krone» in Gonten. Die «Faulen» teilten sich in drei weitere Untergruppen auf: Die Kronbergfahrerinnen erklommen mit Hilfe der Seilbahn eben diesen Kronberg, Franziska bildete die wagemutige Untergruppe «Bobbahn» und die dritte Untergruppe formierte die Philosophen- und Chipsrunde im Restaurant beim beeindruckenden Klettergarten. Amüsiert haben sich alle prächtig!

Wieder zurück in Appenzell konnten wir unsere Zimmer in zwei Hotels beziehen, und wir lernten, dass «Hecht» und «Löwen» offensichtlich zu den einheimischen Tieren gerechnet werden (siehe «kulturelle Berächerung»).

Um 17:30 Uhr bestiegen wir den Car, um uns nach Stein in die «Esseria» zum Nachtessen transportieren zu lassen. Losgefahren sind wir etwas später, weil A.M. aus W. sich als einzige an die schriftliche Vorgabe hielt, welche die Abreise schwarz auf weiss auf 17:45 Uhr festgelegt hatte. Das gab Peter Gelegenheit, bereits für seine Theaterrolle im November zu üben, in welcher er auch ständig herumrennen muss. Der sportliche Lorbeer gebührt aber eindeutig Anna Marie, welche die Petersche Vorgabe mühelos mitging und überhaupt nicht «Atemlos» beim Bus angerannt kam, unter grossem Applaus des fachkundigen Publikums.

Die «Esseria» verwöhnte uns mit bestem Essen, und dank Theres Menubestellbelegen und Ursulas hervorragendem Timings war der Car um 20:59 Uhr wieder in Appenzell geparkt, – eine Minute, bevor die offiziell erlaubte Arbeitszeit für unsere Chauffeuse abgelaufen war. Volltreffer!

Beim Schlummertrunk auf der Terrasse im «Adler» begann sich der Kreis dieses ersten, ereignisreichen Reisetages logisch zu schliessen. Wieder schob sich der Vollmond in den Vordergrund, wenn auch vorerst nur diskussionsmässig und noch nicht real über die hohen Bergkannten. Mariannes und Barbaras Hartnäckigkeit verdanken wir es, dass wir, und erst noch aus verschiedenen Perspektiven, Handybeweise für die Existenz des Vollmondes am 12. August 2022 in Appenzell bekamen, nachdem sich bereits das Gerücht bilden wollte, dass man hier den Vollmond nur unter Alkoholeinfluss sehen könne, weshalb die einheimische Brauerei Locher ihr alkoholfreies Bier «Leermond» nennt.

Ein vielfältiges, reichhaltiges Frühstückbuffet gab uns den Boden, einen zweiten, ebenso eindrücklichen Reisetag zu erleben. Die kurvige Fahrt führte uns zuerst durch eine herausgeputzte Appenzeller Landschaft, welche als Weideland voll ausgenutzt und gepflegt wird, wohl wegen ihrer Stotzigkeit, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Diese Monokultur hinterliess bei einigen gemischte Gefühle: Einerseits betört diese Landschaft durch ihre gepflegte Schönheit mit tollen Aussichtspunkten, anderseits lässt sie eine botanische und biologische Vielfalt vermissen.

In Trogen bewunderten wir die schönen Gebäude um den historischen, weil nicht mehr für die (abgeschaffte) Landsgemeinde benutzten Platz im Ortszentrum. In Walzenhausen begegneten wir der Firma «Just», welche fast alle aus ihrer Jugend als Bürsten- und Putzutensilienfabrik kannten und die sich in der Neuzeit als Herstellerin von natürlichen Pflegeprodukten und Naturkosmetik einen internationalen Namen geschaffen hat. Von Walzenhausen nach Rheineck beförderte uns das «Lieseli», eine scheinbar unverwüstliche Zahnradbahn, in welcher der Lokführer noch bei den Reisenden steht und welche uns einen einmaligen Ausblick in das Alpsteingebirge, das Bodenseegebiet und den Vorarlberg bescherte. Auf der Vorbeifahrt sahen wir ab Thal auch die Rebberge, aus dem die vollmundigen «Blanc de noir» und «Pinot noir» am Vorabend in der «Esseria» gewonnen worden waren.

Leider fiel wegen des tiefen Wasserstandes die Schifffahrt von Rheineck nach Rorschach buchstäblich ins nicht vorhandene Wasser. So wurden wir direkt in das Gebiet der «Drei Weyeren» gefahren, einem grossen öffentlichen Park auf St.Galler Stadtgebiet mit wunderschönen, grossen Naturschwimmbädern, einem fantastischen Ausblick auf den Bodensee und die Gallusstadt und umgeben von schmucken historischen Jugendstil-Holzbauten. Als historische Reminiszenz findet man noch die Unterteilung in «Manne- und Buebeweiher» und «Frauen- und Familienbad», heute natürlich allen «queer» zugänglich. Auf dem Spaziergang dorthin lud uns Ivo zu einem Umtrunk ein, worauf wir die Tendenz hatten, sofort auf jedes Wirtshaus zu zusteuern, sodass uns Theres daran vorbeilotsen musste.

Ein kleiner Teil genoss in den «Drei Weyeren» das mitgebrachte Picknick, – auf Grund von Entenfloh-Gerüchten ohne Bad. Ein grösserer Teil bestieg bereits die Mühleggbahn und liess sich mit dieser ins Altstadt-Zentrum von St.Gallen bringen. Und da ging für uns unerwartet die Post ab! Die Ostschweizer Metropole empfing uns mit einem tanzenden, singenden, swingenden Stadtfest mit viel Strassenkunst sowie lauter und weniger lauter Musik. Dank einer entschlossen vorausmarschierenden Vorhut ergatterten wir uns aber Outdoor -Schattenplätze in der Pizzeria «Dolce Lucia», welche uns zudem mit 25 Sorten «Gelati artigianati» verführte. Dieser Verlockung konnte (wollte schon) praktisch niemand widerstehen.

Nachdem noch die Reisegeschenke für Kinder- und Grosskinder gefunden waren, bestiegen wir gegen 16:00 Uhr wieder den Car. Wir nahmen Abschied von der Ostschweiz, Franziskas eigentlicher Heimat und Theres Zuhause in jungen Erwachsenenjahren, und langsam ging eine tolle Chorreise voller Begegnungen, einzigartigen Eindrücken und viel gesunden Lachens zu Ende.

Am Eingang zum Emmental erinnerte uns Marianne daran, dass wir noch gar nicht gesungen hätten. Wir versuchten, das Versäumte nachzuholen, – aber entweder waren wir doch etwas müde oder es fehlten einige gesangliche «Zugpferde» -, auf jeden Fall denke ich, Ursula war ziemlich froh, dass wir nicht vorher auf diese Idee gekommen waren. Und Ivo konnte auch froh sein, dass er den Zug bereits in St.Gallen bestiegen hatte; immerhin hätte er erstaunt zur Kenntnis nehmen dürfen, dass wir den Kanon «Klingt ein Lied in allen Dingen» textlich einwandfrei wiedergeben konnten. Theres hätte oder hatte sich noch «La sera sper il lag» gewünscht, aber diese Darbietung klang sehr nach einer Neukomposition romanischer Zwölftonmusik. Vielleicht sollten wir dies, mit Noten und Text in der Hand, nochmals versuchen. Verdient hätte Theres dies, welche uns eine tolle Reise voller Höhepunkte, aber ohne Hektik perfekt organisierte. Es war ein grosser Genuss, vielen Dank!

J.W.

 

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